Wie Körper, Geist und Psyche zusammenhängen

Artikel der Tageszeitung Dolomiten, 29.04.2023

„Dein Leben ist das, was Deine Gedanken daraus machen.“ wusste bereits Marc Aurel in der Antike. Der altgriechische Philosoph Platon postulierte gar Jahrhunderte davor: „Willst du den Körper heilen, dann musst du zuerst die Seele heilen“. Schon immer befassten sich Philosophen und Gelehrte aus allen Kulturen mit dem Zusammenhang von Körper, Geist und Psyche. In der modernen Welt wurden diese Sichtweisen lange in die Schublade der Alternativmedizin geschoben oder gar als esoterisch abgestempelt. Lange Zeit ging man davon aus, dass unsere Psyche und die Organsysteme weitestgehend autonom arbeiten. Mittlerweile wissen wir (wieder), dass sie permanent miteinander kommunizieren und ein reger Informationsaustausch stattfindet. So untersucht beispielsweise die sogenannte Psychosomatische Medizin den Einfluss der Psyche auf unsere Gesundheit. Einen Meilenstein in der Geschichte der „modernen“ Psychosomatik und insbesondere in der ganzheitlichen und integrativen Medizin, setzte der Forschungszweig der Psychoneuroimmunologie (kurz PNI). Diese ist, im Vergleich zu anderen, eine noch relativ junge Wissenschaft, aber bereits die Grundlagenforschungen erweisen sich als einflussreich und sehr vielversprechend. Die PNI beschäftigt sich explizit mit dem Zusammenspiel von Psyche, Hormon-, Nerven- und Immunsystem. Sie erforscht deren Verbindungen und Wechselwirkungen und berücksichtigt dabei sowohl das Umfeld als auch die „Bedingungen“. Daher beschäftigen sich Psychoneuroimmunologen auch mit Genetik, Epigenetik, Bewegung, Sport, Ernährung bis hin zu Soziologie, Religionswissenschaften und Spiritualität. Es handelt sich dementsprechend um ein komplexes, äußerst breitgefächertes Fachgebiet, welches eindrucksvoll Vernetzungen im und außerhalb des Körpers aufzeigt. Diese ganzheitliche Sicht ermöglicht Behandlungs- und Präventionskonzepte, die weit über Symptom-orientierte Behandlungen hinausreichen.

>> Angesichts der zunehmenden Spezialisierung in Medizin und Therapie, nimmt der integrative Ansatz der Psychoneuroimmunologie an Bedeutung und Wichtigkeit laufend zu <<

Forschungsbeispiele

Aufgrund unseres Lebensstils und den zunehmenden Belastungen, wird unser Körper immer häufiger auf den Prüfstand gestellt. Oft steht er vor (zu) großen Herausforderungen: Die allarmierenden Zahlen typischer Zivilisationskrankheiten (beispielsweise Übergewicht, Depressionen, Schlafprobleme, Bluthochdruck oder Schilddrüsenfunktionsstörungen) und vieler weiterer, zeitgemäßer Beschwerden (allen voran Allergien, chronische Müdigkeit und Energiemangel) sprechen eine deutliche Sprache. Der Medikamentenkonsum ist schlicht erschreckend. Verständnis über das Zusammenspiel von Psyche und Organsysteme bietet ein breites Spektrum an Erklärungsmodellen, denn Schwerpunkte der Forschungsarbeiten der PNI sind unter anderem Stressreaktionen, Alterungs- und Entzündungsprozesse sowie Immunreaktionen und neurologische Veränderungen. Von besonders großem Interesse sind die Auswirkungen der Psyche auf das Immunsystem. Immunologische Reaktionen werden in der Welt der PNI niemals isoliert betrachtet, sondern immer im Zusammenspiel mit psychischen und psychosozialen Faktoren. Gefühle und Gedanken, aber auch unsere Einstellungen spielen nämlich eine Schlüsselrolle für das Immunsystem. Vielfach konnte nachgewiesen werden, dass Emotionen biochemische Reaktionen im Körper auslösen. Ängste und Sorgen, Ärger und Wut, aber auch negatives Denken sind zweifelsohne negative psychische Einflussfaktoren auf das Immunsystem. Unter emotionalen Belastungen steigen beispielsweise Entzündungswerte. Chronischer, negativer Stress vermindert unser immunologisches Gedächtnis und löst Immundefizite aus. Darüber hinaus hat er genauso negative Auswirkungen auf unser Nerven- und Hormonsystem. Leider ist Stress eines der größten „Missverständnisse“ unserer Zeit, denn dieser wird oftmals völlig falsch verstanden. Stress bedeutet nämlich nicht nur, „zu viel zu tun zu haben“. Es gibt sehr verschiedene Stressoren. Wir können unseren Körper beispielsweise mit Bewegungsmangel, ungesunder Ernährung und zwischenmenschlichen Konflikten genauso überfordern und stressen. Zudem zeigt jeder Mensch individuelle Unterschiede. Nicht jeder reagiert gleich auf dieselben Stressoren.

Wichtig ist, den ebenbürtigen Einfluss des Immunsystems auf unsere psychische Gesundheit genauso zu berücksichtigen. Das Gehirn als auch das Immunsystem können zum Beispiel durchaus als sehr „egoistische“ Systeme betrachtet werden, die unter Umständen regelrecht um die zur Verfügung stehende Energie ringen. Daraus resultiert, dass beispielsweise bei einer Depression immer an eine andere zugrundeliegende oder mögliche weitere Erkrankung oder Störung gedacht und entsprechend (mit) behandelt werden muss. Ansonsten besteht die Gefahr wiederum nur symptombezogen zu agieren. Auch der enge Zusammenhang zwischen Darm und Gehirn ist in den vergangenen Jahren intensiv erforscht worden. Die Erkenntnisse veranschaulichen die einflussreiche Kommunikation zweier Organsysteme. Wenn man bedenkt, dass mehr als drei Viertel aller Immunzellen im Darm vorkommen, wird deutlich welche Rolle das Immunsystem nur rein über die sogenannte Darm-Hirn-Achse auf unsere psychische Gesundheit und mentales Wohlbefinden hat. Nicht umsonst gibt es ein „Bauchgefühl“. Die Forschung kennt und erkennt immer mehr solcher Achsen und deckt enge Beziehungen verschiedener Organsysteme auf.

Zum Glück handelt es sich bei all den beschriebenen Prozessen um ein Wechselspiel – und das Ganze gilt auch umgekehrt: Positives Denken, Selbstwert, Optimismus und Hoffnung, Liebe, sichere soziale Bindungen, angenehme Beziehungen und dergleichen wirken allesamt sehr positiv auf das Immunsystem ein!

>> Die seriöse, ehrliche Wissenschaft und Medizin hat längst erkannt, wie elementar das Zusammenspiel von Umwelt, Psyche und Körper für das Verstehen von Gesundheit und Krankheit ist. Doch was Gesundheitsvorsorge und die Behandlung vieler Erkrankungen betrifft, hat man das Gefühl, dass selbst fundierte Erkenntnisse noch lange nicht überall angekommen – oder willkommen sind. <<

Die Entstehung der Psychoneuroimmunologie

Mitte der 1970er Jahre konnten der amerikanische Psychologe Robert Ader, der Immunologe Nicholas Cohen und der Neurowissenschaftler David Felten erstmals nachweisen, dass das Immunsystem mit dem Nervensystem zusammenarbeitet – Und darüber hinaus: Auch lernen kann. Davor lieferten bereits andere Persönlichkeiten Vermutungen und Hinweise auf psychoneuroimmunologische Wechselwirkungen: Zum Beispiel stellte Louis Pasteur bereits 1878 fest, dass Hühner unter Stressbelastung eine deutlich höhere Infektanfälligkeit aufweisen. Seitdem hat sich viel getan und inzwischen hat die Wissenschaft enorme Fortschritte erzielt: Es steht mittlerweile außer Frage, dass zwischen allen Systemen im Körper Interaktionen bestehen und die PNI wurde zu einem bedeutenden Gebiet der modernen medizinischen Forschung.

Psychosomatik – Die Spiegelbilder von Körper und Seele

Der Begriff Psychosomatik leitet sich aus den griechischen Wörtern für Seele („Psyche“) und Körper („Soma“) ab. Die Psychosomatik ist ein interdisziplinäres Fachgebiet und beschäftigt sich mit Krankheiten, deren Entstehung sich nicht oder zumindest nicht vollständig körperlich erklären lassen. Wichtig ist zu berücksichtigen, dass der „Zustand“ des Körpers und seiner Organsysteme genauso auf unsere Psyche einwirkt: Diese somato-psychischen Symptome fristen jedoch noch ein Schattendasein. Dank der Erkenntnisse der PNI können auch diese Auswirkungen immer besser erforscht werden. Es existiert immer ein Wechselspiel auf beiden Ebenen – sowohl im positiven als auch negativen Sinne!

>> Gedanken über Gedanken und einer hört immer zu: Unsere Psyche kommuniziert und interagiert permanent mit allen Organsystemen <<

Placebo versus Nocebo

Unter Placebo-Effekt versteht man die lindernde oder gar heilende Wirkung einer „Scheinbehandlung“. Zum Beispiel im Rahmen der Verabreichung eines Scheinmedikaments ohne entsprechenden Wirkstoff. Auch andere Formen einer Scheintherapie bewirken nicht selten wahre Wunder. Unterm Strich ein eindeutiges Zeichen davon, wie stark der Einfluss einer positiven Erwartungshaltung auf das Immunsystem sein kann und in der Lage ist Selbstheilungsprozesse zu aktivieren. Dank der PNI wird der bekannte Effekt greifbarer und daraus ergibt sich eine bessere therapeutische und wissenschaftliche Nutzung. Genauso verhilft das Wissen über seinen weitgehend unbekannten, aber ebenbürtigen Pendant, dem sogenannten Nocebo-Effekt, unerwünschte negative Einflüsse und Auswirkungen zu berücksichtigen.

Übrigens: Sehr erstaunlich ist, dass der Placebo-Effekt sogar dann eintritt, wenn wir wissen, dass wir nur eine Schein-Therapie erhalten. Es bedarf sozusagen gar keiner (bewussten) Täuschung um positive Veränderungen zu erreichen.

>> Die Psychoneuroimmunologie deckt die Macht der Gedanken auf und unterstreicht deren immense Bedeutung und Auswirkung auf alle Organsysteme –Insbesondere auf unsere persönliche Gesundheitsvorsorge: Dem Immunsystem <<

Autor: thomas stricker, Gesundheitswissenschaftler für integrative, komplementäre und psychosoziale Gesundheitswissenschaften, Therapeut für klinische Psychoneuroimmunologie

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