„Gesundheitskiller“ Dauersitzen

Artikel der Tageszeitung Dolomiten, 08.07.2023

Schon einer er berühmtesten Ärzte des Altertums, Hippokrates von Kos (ca. 460-377 v. Chr.) lehrte: „Wenn wir jedem Individuum das richtige Maß an Nahrung und Bewegung zukommen lassen könnten, hätten wir den sichersten Weg zur Gesundheit gefunden.“ Diese, auf den ersten Blick so einfach und banal anmutende Erkenntnis, entpuppt sich als eine der größten Herausforderungen des 21.Jahrhunderts. Bewegungsmangel im Allgemeinen und insbesondere unser zunehmend sitzender Lebensstil hat weitreichende, negative Folgen für unsere Gesundheit.

Dauersitzen: Die große Herausforderung des modernen Lebensstils

„Gäbe es ein Medikament, das nur annähernd ähnliche segensreiche Wirkungen wie ein regelmäßiges Ausdauertraining auf alle Risikofaktoren degenerativer Herz-Kreislauf-Erkrankungen hätte, man könnte es wohl kaum bezahlen!“ Dieses bekannte Zitat stammt vom renommierten, deutschen Sportwissenschaftler Jürgen Weineck (1941 – 2020). Es unterstreicht die immense Bedeutung eines aktiven, bewegungsfreudigen Lebens und hat nach wie vor nichts an Aktualität eingebüßt. Im Gegenteil, heute weiß man sehr gut, dass die positiven Effekte regelmäßiger Bewegung deutlich weitreichender sind und nicht nur unser Herz-Kreislauf-System betreffen. Es gibt wohl kein Organ und Organsystem, das nicht davon profitiert oder sogar darauf angewiesen ist. Vom positiven Einfluss auf unsere Psyche und unser allgemeines Wohlbefinden ganz zu schweigen. Es gibt keine Erkrankung, die durch Bewegung schlimmer wird. Entscheidend für unsere Gesundheit ist jedoch zu wissen: Bewegung ist nicht gleich Sport und Sport ist nicht gleich Bewegung. All zu oft werden die beiden Begriffe gleichgestellt und synonym genutzt. Dies ist trügerisch und steht einem integrativen Verständnis von Gesundheit im Weg. Denn: Regelmäßige Bewegung ist ein Muss für unsere Gesundheit – Sport hingegen nicht. Selbstverständlich können wir durch Sport die Gesundheit zusätzlich fördern. Jedoch kann selbst häufig ausgeübter Sport, die regelmäßige Bewegung untertags nicht ersetzen. Selbst der Lebensstil vieler sportbegeisterter und gesundheitsbewusster Menschen ist durch Bewegungsarmut im Alltag gekennzeichnet.

>> Die meisten Menschen wissen zwar, wie wichtig Bewegung für unsere Gesundheit ist. Allerdings ist nur wenigen wirklich bewusst, wie weitreichend die Auswirkungen von Bewegungsmangel sind. Insbesondere jene des Dauersitzen <<

Längst ist bekannt, dass Sitzen keine Wohltat für unseren Körper ist. Die negativen Auswirkungen auf unsere Haltung und unsere Wirbelsäule sind hinlänglich bekannt. Allen voran Rückenschmerzen und hartnäckigen Verspannungen im Schulter- und Nackenbereich. Mittlerweile ist allerdings gut erforscht, was das ständige Sitzen noch alles mit unserem Körper anstellt. Und das ist nicht wenig, wie Untersuchungen und Studien deutlich und eindrucksvoll belegen: Die Konsequenzen für die Gesundheit sind erschreckend. Insbesondere in Bezug auf die neue Paradedisziplin des modernen Menschen im 21.Jahrhundert: Dem Dauersitzen. Es macht nämlich einen entscheidenden Unterschied wieviel Zeit am Stück man im Sessel verbringt. Es sieht sogar danach aus, dass die negativen Auswirkungen (im Erwachsenenalter) selbst Rauchen oder Übergewicht übertreffen – oder zumindest in Nichts nachstehen. Nicht umsonst wird Sitzen mittlerweile gerne als „Das neue Rauchen“ bezeichnet, denn typische Zivilisationskrankheiten scheinen im sehr engen Zusammenhang damit zu stehen. In welcher Position lesen Sie gerade die Zeitung…?

Die Folgen

>> Dauersitzen ist ein eigenständiges Gesundheitsrisiko, das sich zwar verringern, aber nicht vollständig kompensieren lässt <<

Sehr überraschend ist, wie schnell unser Körper negativ auf das Sitzen reagiert. Bereits nach 10 Minuten wird beispielsweise der Blutfluss in den Beinen reduziert und stellt somit ein Risiko für Gefäßerkrankungen dar. Und nachsage und schreibe schlappe 20, bis maximal 30 bis 40 Minuten, fällt unser gesamter Organismus in eine Art „gestressten Stand-By-Modus“. Stoffwechselprozesse verändern sich und das „regungslose“ Verharren bewirkt unter anderem einen erhöhten Blutzuckerspiegel und eine verringerte Insulinsensitivität. Langfristig entsteht dadurch eine solide Basis für die Entwicklung von Insulinresistenzen und Diabetes. Weiters kommt es zu einem Anstieg des Blutdrucks, was wiederum die Entstehung von Hypertonie begünstigt. Selbst die Blutfettwerte verändern sich negativ. In Summe resultieren daraus hervorragende Bedingungen für die weitverbreiteten Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Hinzu kommen weitere Wirkungsmechanismen auf unser Immunsystem: Es entsteht eine allgemeine Entzündungs-Neigung und Förderung und sogar das Risiko für (bestimmte) Krebsarten steigt. Hinzu kommen negative Aspekte bezüglich unserer Psyche, Leistungsfähigkeit und unseren Wohlbefinden. Selbst eine gesunde Ernährungsweise ist nicht in der Lage die beschriebenen Veränderungen zu verhindern. Mehrere Studien zeigen unter „Vielsitzern“ im Vergleich zu Menschen die nur wenige Stunden am Tag sitzen, ein generell höheres Sterberisiko: Je mehr Stunden und je länger ununterbrochen man täglich Zeit im Stuhl verbringt, desto größer die Unterschiede.

>> Viele kranke Menschen werden permanent mit Sport- und Ernährungsempfehlungen konfrontiert, jedoch nicht darüber aufgeklärt, wie wichtig es wäre Dauersitzen zu vermeiden. Sport und Bewegung müssen neu und zeitgemäßer interpretiert werden und Patientenratgeber sowie alteingefahrene Maßnahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements gehören aktualisiert <<

Zeit aufzustehen.

Eine vollständige Lösung des Problems ist angesichts der heutigen Lebensweise kaum mehr möglich. Erwachsene in den Industrieländern verbringen heutzutage durchschnittlich mehr als die Hälfte ihrer Wachzeit im Sitzen. Tendenz steigend, da es beruflich und schulisch bedingt immer mehr sitzende Tätigkeiten gibt. Aber Diejenigen die konsequent und regelmäßig Sitzpausen einlegen, können im Vergleich zu ihren Kollegen, die in Summe genauso lange Sitzen, die negativen Wirkungen zwar nicht vollständig eliminieren, aber zumindest deutlich positiv beeinflussen. Im Idealfall unterbrechen wir nach 30 Minuten das Sitzen und nutzen die Sitzpause effektiv: Das heißt kurz, aber möglichst aktiv bewegen um den Kreislauf wieder in Schwung zu bringen und den Stoffwechsel „wachzurütteln“. Dafür reichen dann wenige Minuten. Dies ist natürlich nicht immer realistisch. Daher gilt, dass wir auf jeden Fall versuchen sollten, spätestens jede Stunde aktiv zu werden – Dann allerdings für längere Zeit. Fazit: Es reicht nicht, sich nur am Wochenende sportlich zu betätigen. Nicht einmal täglicher Sport kompensiert die Auswirkungen, wenn davor oder danach wieder der Dauersitzmodus ohne Unterbrechungen dominiert. Regelmäßige Bewegungspausen hingegen tun uns nachweislich sehr gut: Und zwar schon dann, wenn man 30 Minuten seiner bisherigen, sitzenden Gesamtzeit durch aktive Bewegungen ersetzt.

Der kleine, aber feine Unterschied zwischen Sport und Bewegung

„Der Sport ist ein sehr vernünftiger Versuch des modernen Zivilisationsmenschen, sich Strapazen künstlich zu verschaffen“ formulierte Peter Bamm (1897-1975), ein deutscher Arzt und Schriftsteller, sehr passend den sinnvollen Ansatz von Sport. Doch wie definiert man eigentlich Sport? Unter Sport versteht man, wenn eine körperliche Aktivität geplant wird und darüber hinaus strukturiert sowie wiederholend und zielgerichtet erfolgt. Diese kann sowohl einzeln, als auch zusammen im Team oder Gemeinschaft durchgeführt werden. Definitionsgemäß ist das Ziel die Verbesserung und/oder Aufrechterhaltung von körperlicher Fitness. Nicht zu unterschätzen sind darüber hinaus all die sozialen und „lebensprägenden“ Aspekte, die Sport im äußerst positiven Sinne erweitern und ergänzen können. Bewegung hingegen meint ausnahmslos alle Aktivitäten, die sowohl während der Arbeit, als auch in jeglichem weiteren Rahmen, wie beispielsweise Freizeit, Spiel, Hausarbeit oder aktiver Fortbewegung stattfinden. Sie reicht somit weit über Sport oder körperlicher Arbeit hinaus und beinhaltet genauso Spaziergänge, Gartenarbeit oder das (aktive) Spielen mit Kindern oder Haustieren. In unserer zunehmend bewegungsarmen Gesellschaft, mutierte Sport schnell zum Ersatz körperlicher Aktivität. Er ist jedoch nicht in der Lage, den Bewegungsmangel im Alltag zu kompensieren. Sport und Bewegung müssen daher neu und zeitgemäß betrachtet werden: Natürlich insbesondere beginnend bei unseren Kindern – Allen voran in Schulen und anderen Bildungseinrichtungen.

>> Es liegt nicht in der Natur des Menschen, so viel und so lange zu Sitzen. Mittlerweile haben wir uns jedoch meilenweit von einer für uns typischen Lebensweise distanziert. Diese hat sich in kürzester Zeit drastisch verändert – unser Körper jedoch nicht <<

Autor: thomas stricker, Gesundheitswissenschaftler für integrative, komplementäre und psychosoziale Gesundheitswissenschaften, Therapeut für klinische Psychoneuroimmunologie

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